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Der erste Tag
Unser Neuankömmling verbringt unterdessen die erste Nacht auf der Reck. Hier sei eingefügt, daß mit einem neuankommenden, verhaubten Falken ebenso verfahren werden kann. Natürlich braucht dafür die Reck nicht in einem abgedunkelten Raum zu stehen, denn die Verdunklung trägt der Falke ja bereits in Form der Haube auf dem Kopf. Das Prinzip indes ist dasselbe. Es bietet sich allerdings an, den Falken - aus Sicherheitsgründen - verhaubt am Block und nicht auf der Reck festzumachen.
Warum aber stellen wir den Habicht überhaupt auf die Reck und nicht an den Sprenkel oder die Flugdrahtanlage. Die Frage ist bereits beantwortet. Ein unabgetragener Beizvogel erträgt die Annäherung eines Menschen von oben herabschauend leichter, als wenn er - wider seiner Natur - am Boden das Herantreten dieses großen, angsteinflößenden Ungetüms Mensch ertragen muß. Das Abtragen macht mit einem Vogel auf der Reck schnellere und transparentere Fortschritte. Es gibt jedoch noch einen zweiten, fast wichtigeren, weil tierschutzrelevanten Grund, den Vogel anfangs auf die Reck zu stellen. Der Bewegungsradius eines Vogels auf der Reck ist auf ein Minimum eingeschränkt, was ungestüme Fluchtreaktionen nahezu unmöglich macht und damit eine Verletzungsgefahr weitestgehend ausschließt. Wäre ein Abstellen des rohen Habichts am Sprenkel gerade noch vertretbar, gleichwohl das wilde Springen und Zerren am Sprenkel jeden feinfühligen Beobachter eigentlich zum Eingreifen nötigt, ist ein Anbinden an die Flugdrahtanlage in jedem Fall und mit Nachdruck zu untersagen. Nicht nur kann der Vogel hier erfolgreich vor dem Falkner ausweichen, was er niemals glauben darf zu können, sondern - wichtiger - das Verletzungsrisiko ist enorm hoch. Ein wilder, unabgetragener Greifvogel gehört daher nicht an den Flugdraht, sondern auf die Reck!
Da man Vögel nicht gerne mit vollem Kropf streßt, das Herausfangen aus der Kammer und der Transport aber erhebliche Streßfaktoren darstellen, ist davon auszugehen, daß der Vogel vom Züchter (oder Vorbesitzer) an diesem Tag nicht geatzt wurde. Wenn nichts anderes vereinbart war, wird der Vogel zuvor in der Zuchtkammer ad libitum gefüttert worden sein, d.h. er durfte so viel kröpfen wie er wollte. Das vor dem Anbinden an die Reck ermittelte Gewicht stellt daher ein echtes, weil magen- und darmleeres Gewicht dar. Er ist das maximalen Bettelfluggewicht des Jungvogels. Es dient für die kommenden zwei Wochen (WICHTIG: keinesfalls aber für die gesamte erste Beizsaison!) als Referenzgewicht.
Über die erste Nacht auf der Reck und im Verlauf des nächsten Tages (1. Tag) bleibt der Habicht leer stehen. Idealerweise sollte bereits jetzt entschieden sein, zu welcher Tageszeit man mit dem Vogel später (mindestens in den ersten zwei Monaten) jagen möchten. Dies determiniert den Zeitpunkt, an denen die Abtrageübungen stattfinden. Zur Wiederholung: Das Abtragen ist uns nur ein Mittel zum Zweck. Es dient der Vorbereitung des Vogels für die Jagd. Vom ersten Tag an wird der Vogel an eine immer gleiche Routine und einen immer gleichen Tagesablauf gewöhnt (signalhafte Kommunikation!). Wir nehmen einmal an, weil es die Regel ist, daß am frühen Abend gejagt werden soll, weshalb wir am Abend dieses ersten Tages, also nachdem der Vogel 24 Stunden ohne jegliche Störungen auf der Reck stand, das erste Mal mit Atzung in der Faust den Raum betreten.
Wir wissen natürlich, daß wir den Vogel, um ihn für die anstehenden Abtrageschritte vorzubereiten, im Gewicht reduzieren müssen. Gleichwohl lassen wir grundsätzlich keinen Vogel länger als einen Tag "leer" stehen. Dies einerseits, um die Gesundheit des Vogels nicht zu gefährden, andererseits aber auch, weil wir wissen, daß kleine aufgenommene Atzungsmengen einen viel größeren Hungereffekt bewirken, als schieres Leerstehen lassen. So unglaublich es klingen mag, aber wir lassen den Vogel selbst bestimmen, ob und wieviel er kröpfen will. Besiegt der angestaute Hunger anfangs seine Angst, wird die Scheu nach wenigen Bissen wiederkehren, und auch schon wird er wieder aufhören zu kröpfen. Daß der Vogel einige Atzungsbrocken von der vorgehaltenen Faust aufnimmt, ist alles, was wir am ersten Tag des Abtragens erreichen wollen. Es sollte für den Vogel leicht aufnehmbare Atzung sein, wie z.B. frisch ausgelöste Taubenbrust oder eine Stück schieres Rindfleisch. Zum erleichterten Abschlucken, aber auch zur Regulation seines Flüssigkeitshaushalts (nicht vergessen: der Vogel hat zur Zeit keinen Zugang zu Wasser) wird es angefeuchtet, nicht jedoch gewässert!
Bei unserem Betreten des Raums wird der Vogel aller Wahrscheinlichkeit nach unruhig werden und vielleicht sogar abspringen. Dies braucht einen nicht zu entmutigen, ob der völligen Dunkelheit wird er sich alsbald wieder beruhigen. Ist dies geschehen, tritt man langsam aber stetig näher. Gut einen Meter vor der Reck schaltet man die Stirnlampe ein und richtet deren Strahl ruhig und konstant auf die schiere, rote Atzung in der Faust (Achtung: vermeiden Sie bedrohliche Schattenspiele an der Wand hinter der Reck!). Die Stirnlampe bewirkt einen Blendeffekt und macht das eigene Gesicht für den Vogel im Gegenlicht gänzlich unsichtbar. Dennoch sollte man es - wie immer am Anfang - tunlichst vermeiden, dem Vogel direkt in die Augen zu schauen. Für den Fall, daß der Vogel auf der Reck stehen bleibt, wird die Faust langsam (über Minuten) vorgeführt und neben ihm auf die Reckstange abgelegt. Nun erklärt sich auch, warum wir bei der Anbindung des Habichts eine Kurzfessel (5-7cm innerer Abstand zwischen den Drahlenschlitzen) anlegen: Damit verringert sich nicht nur das Risiko, daß sich der Vogel beim Abspringen von der Reck die Stoßfedern im Geschüh verbinzt, es ermöglicht dem Vogel auch, auf die seitlich von ihm abgelegte Faust überzutreten, was ihm bei alleiniger Geschühanbindung nahezu unmöglich wäre. Im weiteren heißt es, Geduld zu haben und den Vogel sich an die veränderte Situation gewöhnen zu lassen. Dies kann durchaus eine Stunde und mehr dauern. Es ist ein Geduldsspiel. Absolut wichtig ist in diesen Minuten (oder Stunden), daß keinerlei äußere Störungen die gespannte Situation beeinflussen. Es sollte kein Telefon oder Handy klingeln, kein Hund an der Tür kratzen oder davor jammernd um Einlaß bellen, und man selbst sollte nach Möglichkeit nicht zu niesen beginnen oder ähnliches. Es sollte absolute Ruhe herrschen. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtet man das Verhalten des Vogels genau, um gegebenenfalls mit langsamen Aktionen (z.B. Spielen der Atzung in der Faust) den Vogel zu beeinflussen. Keinesfalls aber darf man den Vogel mit hektischen Bewegungen überfordern, auch nicht, wenn er plötzlich abspringen sollte (was nicht zu erwarten ist). Bleiben Sie ruhig und starr stehen. Und keinesfalls durch unbedachte Kopfbewegungen mit dem Lichtkegel der Stirnlampe hin und herleuchten. Im folgenden wollen wir beschreiben, wie wir einen Beizvogel abtragen. Wenn wir dies am Beispiel des Habichts tun, dann deshalb, weil die Frühphase des Abtragens bei Falke und Harris Hawk weniger problamtisch und der Habicht hierzulande noch immer der häufigste Beizvogel ist. Zum Verständnis vorneweg: Das Abtragen untergliedert sich prinzipiell in drei Phasen: 1. das Gewöhnen (früher auch das "Locke-tragen" genannt), 2. das Beireiten und 3. das Einjagen. Während der ersten Phase wird dem rohen Beizvogel die Scheu vor dem Menschen und seinem Umfeld genommen. In Phase 2 lernt der Vogel auf ein Signal hin zum Falkner zu kommen. Mit Beginn der Phase 3 darf sich der Vogel erstmals wieder vom Falkner wegbewegen - jedoch immer und nur in Verbindung mit Wild. Während das Gewöhnen nicht mit einem Mal beendet ist, tatsächlich erstreckt es sich über das ganze Leben eines Beizvogels, ist das Beireiten ein zeitlich eng terminierter Vorgang zu Beginn einer jeden Beizsaison. Das Einjagen wiederum, das unmittelbar nach dem ersten Beireite-Freiflug beginnt, geht übergangslos in das eigentliche Beizjagen über. Als fertig abgetragen und eingejagt darf ein Vogel gelten, der mit einiger Regelmäßigkeit 10 Stück Wild geschlagen hat. | |
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Ein ideales Hilfsmittel in den ersten Tagen des Abtragens: die Stirnlampe. [Die beiden Einstellungen sind identisch, links im Dunkel erkennt man den fokusierten Lichtstrahl auf die Faust. Das Gesicht des Falkners indes ist im Gegenlicht für den Vogel unsichtbar]. |
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Was aber für den Fall, daß der Vogel schon beim Hereintreten in den Raum abspringt und sich wie wild gebärdet? Dies wird im völlig abgedunkelten Raum eher selten geschehen, zumal wenn der Vorraum ebenfalls verdunkelt ist. Wenn doch, sollte man ungeachtet dessen den Raum betreten, die Tür schließen und mit abgeschalteter Stirnlampe ruhig verharren, bis sich der Vogel wieder beruhigt hat. Glauben Sie jedoch nicht, daß der Vogel nicht wüßte, daß Sie im Raum sind. Er weiß es genau, zumal er Sie atmen hört! Habichte haben ein ausgesprochen gutes Gehör. Hat sich der Vogel beruhigt, schaltet man nach einigen Minuten die Stirnlampe an und nähert sich langsam der Reck. Springt er erneut, verharrt man und wartet ab, bis er sich wieder aufgeschwungen hat und geht dann weiter langsam, aber beharrlich auf ihn zu. Wichtig ist, daß man bei jeglichem Springen des Vogels nicht zurückweicht, sondern lediglich verharrt. Der Vogel darf niemals glauben, er könnte das eigene Tun durch sein Springen beeinflussen - einem quasi ausweichen oder entgehen. Würde man zurückweichen, würde er es bei der nächsten Annäherung nur erneut versuchen. Vorgreifend auf spätere Ausführungen sei hier bereits erwähnt, daß es von eminenter Wichtigkeit ist, daß sich die (beim Anfänger in dieser Situation wahrscheinlich vorhandene) eigene Nervosität nicht auf den Vogel überträgt (Stichwort "Selbstdisziplin"). Ein Greifvogel registriert sehr genau wechselnde Erregungszustände in seinem direkten Umfeld. Eine zittrige Hand, schnelle, hektische, für ihn ungewohnte Bewegungen sind für einen Greifvogel instinktive Warnsignale. Wie schon einmal gesagt: Überlegen Sie sich vorher, was Sie von Ihrem Vogel erwarten wollen. Durchdenken Sie die Eventualitäten und legen Sie Ihr Tun fest. Dies wird Ihnen helfen, im entscheidenden Moment Ruhe zu bewahren.
Hat sich der Vogel durch Ihr ruhiges, geduldiges und beharrliches Verhalten an Ihre Anwesenheit im leichten Schein der Stirnlampe gewöhnt, und ist die Faust erst einmal auf der Reckstange abgelegt, ist in aller Regel davon auszugehen, daß der Vogel einen Teil der Atzung aufnehmen wird. Nicht gleich, aber vielleicht nach einer Stunde (in dieser Zeit sollte die Stirnlampe tunlichst nicht wegen Energiemangel ausgehen ... daher bitte mit neuen Batterien diesen ersten Versuch bestreiten!). Nimmt der Vogel gut (gierig) Atzung auf, ohne daß er sich am Falkner stört - was nicht selten vorkommt -, kann man ihn durch vorsichtiges Schieben des Handschuhs in seine Richtung zum Übertreten auf die Faust veranlassen (hohes Anforderungsprofil). Mäkelt er dagegen und wendet sich nur mit ängstlichem Blick der Atzung zu, sollte man ihm die Entscheidung überlassen (niedriges Anforderungsprofil). Das Kröpfen wird nicht länger als wenige Minuten dauern. Im selben Moment, wo der Vogel das Kröpfen beendet oder auch nur Anzeichen von wieder gesteigerter Ängstlichkeit zeigt, sollte sofort mit dem vorsichtigen Rückzug begonnen werden. Das Tagessoll ist erfüllt. Dazu wird die rechte, frei Hand außerhalb des Lichtscheins der Stirnlampe nach oben geführt (um dabei keine Geräusche zu machen, sollte man zu dieser ersten Übung keine Seide- oder Kunstfaserkleidung tragen, sondern Baumwolle) und die Stirnlampe ausschalten. Damit herrscht plötzlich wieder totale Finsternis im Raum. Diese erste Sekunde plötzlicher Verdunklung gilt es zu nutzen, um mit zwei leisen Schritten von der Reck wegzutreten. Idealerweise sollte das Verlassen des Raumes ohne Abspringen des Vogel vonstatten gehen; dann kann man diese erste Übungseinheit als vollen Erfolg verbuchen.
In den nächsten 24 Stunden wird der Raum wieder nicht betreten, außer es handelt sich um einen augenscheinlich locken und wesensfesten Vogel. Dann kann man überlegen, bereits in dieser zweiten Nacht den Rolladen oder die Verdunklung teilweise zu öffnen (beim Rolladen etwa soviel, daß die fünf oberen Lochreihen Licht durchschimmern lassen). Bei einem störrischen, überängstlichen Vogel indes wird es ratsam sein, die völlige Verdunklung noch weitere 24 Stunden bestehen zu lassen. |
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Datum der Veröffentlichung: 20. Januar 2002 |
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