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Es war ein trüber, verregneter Tag Anfang Dezember, als ich spät abends zum Hörer griff und meinen Freund Kent S. Carnie in Boise, Idaho, anrief. Kent ist der Begründer und heutige Kurator des American Archives for Falconry (AAF). Eigentlich wollte ich nur nachfragen, ob das neue Buch der AAF Series, „Life with an Indian Prince", noch rechtzeitig zu Weihnachten fertig würde. Wie so oft kamen wir wieder ins Fachsimpeln, die neuesten Erkenntnisse und Erwerbungen wurden besprochen, als Kent plötzlich sagte: „Warum kommst du nicht einfach über Weihnachten und Neujahr herüber? Wir könnten zusammen zur Tagung des California Hawking Clubs (CHC) fahren und danach noch einige Tage hier in Boise verbringen. Es wird eh höchste Zeit, daß du mal das Archiv und den Peregrine Fund kennenlernst". Was für ein Angebot, dachte ich. Zum CHC wollte ich bereits im letzten Jahr, und das Archiv kennenlernen sowieso. Aber „über die Jahre" die Familie so mal eben im Stich lassen? Jedoch die Verlockung war groß. Ich vertagte meine Antwort, galt es doch zunächst zu prüfen, ob so kurzfristig überhaupt noch ein Flug zu bekommen war. Es war: am 25.12. nach San Francisco, am 3.1. zurück von Boise nach Frankfurt. Die Sache war entschieden. | |
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Der wilde Westen ... teilweise noch wirklich wild. Rechts ein Kojote. |
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Beim ersten Blick aus dem Fenster am Morgen lachte mir die Sonne ins Gesicht. Petrus hatte entschieden. Unser Weg führte uns bei Sonne, angenehmen 20°C und blauem Himmel entlang der Küste von San Francisco über Monterey, dem malerischen Carmel bis nach Moro Bay. Was hätte ich alles verpaßt, wenn es geregnet hätte: das tiefe Blau des Pazifiks, die steilen, aber begrünten Felshänge, Landschaftbilder, die scheinbar nach jeder Kurve wechselten, die Seelefanten-Kolonien und ... den Moro Rock, Felsen des einstmals (Mitte der 70er Jahre) letzten beflogenen Wanderfalkenhorsts in Kalifornien. Heute, man will es kaum glauben, brüten in der Bucht 9 Paare, zwei allein auf dem Moro Rock. Die geschätzte Wanderfalken-Population in ganz Kalifornien beträgt z. Zt. ungefähr 700 Brutpaare, weit mehr als in der Vorkriegszeit! | |
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Das Tagungslokal mit Beizvogelwiese. Rechts ein Geländewagen à la Kalifornien. |
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Hinter Moro Bay verließen wir die N1 in Richtung Landesinnere, Richtung Bakersfield. 180 Meilen lagen noch vor uns. Daß wir dafür fast 4 Stunden brauchten, lag daran, daß Kent bald alle 10 Minuten anhalten mußte, weil ich mal wieder etwas fotografieren wollte. Die Fahrt erinnerte mich stark an die Safaris im Krüger Nationalpark während meiner Jahre in Südafrika. Das Wetter, die Landschaft, die Tiere, alles erschien fast unwirtlich. Wir sahen allein auf dieser Strecke: Kojoten, einen Luchs (nach Kents Worten wirklich ein absoluter Zufall), wilde Antilopen und nahezu alle einheimischen Greifvogelarten, inklusive einem prächtigen Steinadlerweib gleich neben der Straße auf einem Telegrafenmast. Da lachte das Herz des Naturfreunds. | |
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Bekannte Gesichter: Ken Franklin, Steve Layman, Rick Sharp (v. l.) und rechts Kent S. Carnie. |
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Die nächsten drei Tage in Bakersfield brachten viel Spaß, viele bleibende Eindrücke, viele neue Freundschaften und einige Highlights, über die ich in den nächsten Tagen berichten werde. Generell kann man sagen, daß die Tagung großen Bundestagungen des DFO entsprach. Tagsüber wurde gebeizt, ab 17 Uhr (bis 23 Uhr) waren die Verkaufsstände geöffnet, von 20 bis 21.30 Uhr stand alltäglich ein Vortrag auf dem Programm, am Freitag zudem eine Tombolla. Samstag abend, dem Festabend, fanden verschiedene Ehrungen und ein beeindruckender Festvortrag statt, ehe eine (riesen-)große, unglaubliche, sich bis 24 Uhr hinziehende Tombolla mit Preisen von zusammen 8.000 Dollar den Abend beschloß. Zudem wurden während der Tagung verschiedene Workshops angeboten. Über denselben von Steve Layman (Operantes Konditionieren) wird noch ausführlich zu berichten sein.
Da alle Teilnehmer im riesigen (400 Betten) Tagungslokal residierten, luden die gemeinsamen Frühstücke und Abendessen zu fortdauerndem Fachgesimpel ein. Nach dem Schließen der Verkaufstände um 23 Uhr verlagerte sich das Ganze in die hoteleigene Bar (oder besser Disco), wo - wer es denn wollte - bis zum Frühstück durchgefeiert werden konnte.
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Über den Dächern der Sierra - einfach nur beeindruckend. |
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Nachdem wir eine sehr interessante Tagung erlebt hatten, die schon für sich genommen die Reise wert war, machten wir uns am Sonntag, den 30.12., morgens auf den Heimweg nach Boise, Idaho. 800 Meilen lagen vor uns, die wir in zwei Tagen fahren wollten. Erstes Etappenziel war der Sohn des berühmten kalifornischen Falkners, Herny Swain, Michael Swain, wo Kent zahlreiche Dokumente für das AAF übernehmen wollte. Es mußte jedoch noch etwas Überzeugungsarbeit geleistet werden. Unser Weg führte uns über die südlichen Ausläufer der Sierra Nevada, durch Tehachapi entlang den Ausläufern der Mojave Wüste nach Big Pine, unterhalb von Mt. Whitney, mit 4418 m dem höchsten Berg der USA. Wir wurden freundlich begrüßt und nach einem kurzen Smalltalk holte Michael einen Karton mit Briefen aus dem Schlafzimmer hervor, der für den restlichen Nachmittag unsere Aufmerksamkeit fesselte. Gut 100 Briefe von Ronald Stevens, Jeffrey Pollard, Al Nye und anderen bekannten Falknern der Nachkriegszeit wurden überflogen. Gespannt lasen wir die Details der ersten Falkenhybridzucht zwischen Wander- und Sakerfalke, die Ronald Stevens 1971 per Zufall geglückt war, oder was Pollard von seinen Grousebeizen zu berichten hatte. Nach gemeinsamer Überzeugungsarbeit beim Abendessen willigte Michael letztlich ein, die Dokumente in Gänze dem Archiv zu übergeben. Mehr noch, auch die zahlreichen Schmalfilme und Fotos des Vaters wurden dem AAF versprochen. Im Doppelpack waren wir einfach nur überzeugend. |
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Einfahrt zum Peregrine Fund. Rechts ein Blick ins überfüllte Archiv. |
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Um 8 Uhr am letzten Tag des Jahres 2001 hieß es dann noch einmal 500 Meilen hinter uns zu bringen. Entlang der Ostseite der Sierra Nevada nach Norden durch Nevada, vorbei am Death Valley durch eine schier endlos weite, grasige Halbwüste Richtung Oregon und letztlich Idaho führte uns der Weg. Zuhause in Deutschland hatte man schon lange das neue Jahr eingeläutet (9 Stunden Zeitunterschied), als wir abends um sechs Uhr Boise erreichten. Trotz der langen Fahrt, ließ es sich Kent nicht nehmen, mir sofort das Archiv zu zeigen. Ich war schon sehr gespannt, als wir im Dunkel den Hügel hinauf zum Gelände des Peregrine Funds fuhren. Als ich endlich in der Tür stand, wurden meine Erwartungen nicht nur erfüllt, sie wurden weit übertroffen. Es ist unvorstellbar, welch eine Leistung Kent in den letzten 15 Jahren für das American Archive for Falconry erbracht hat. Ich werde gesondert darüber berichten. Blöcke, Hauben, Falknereigeräte von allen bekannten Herstellern der letzten 100 Jahre und aus allen Herren Ländern, hunderte von Bücher, Kunst, Foto- und Filmdokumente, Korrespondenz, Tagebücher, Manuskripte und vieles vieles mehr. Es bedarf keiner weiteren Worte, wenn man weiß, daß noch in diesem Jahr ein neues Gebäude für 600.000 Dollar (allein aus Falkner!!! -Spenden finanziert) errichtet wird, um alles Material museumsgerecht unterzubringen. Hier ist dank des großen Verdienstes von Kent S. Carnie eine unschätzbar wertvolle Institution für die Falknerei weltweit entstanden, deren Bedeutung wohl erst in 20 bis 50 Jahren richtig erkannt werden wird. | |
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Eine von 6 Zuchtanlagen. Rechts Cal Sandfort vor den Ãœberwachungsmonitoren. |
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Über den vielen Dingen, die es zu bestaunen, zu lesen und zu begreifen gab, ging Neujahr fast vergessen. Es versteht sich von selbst, daß ich die nächsten beiden Tage gänzlich im Archiv verbrachte, ausgenommen einer privaten Führung durch die Zuchtanlagen des Peregrine Funds durch Calvin Sandfort. Nur an drei Tagen im Jahr ist der Visitor Center des PF für die Öffentlichkeit geschlossen, unter anderem an Neujahr. Mit der entsprechenden Ruhe und Zeit widmete sich mir Cal an diesem ersten Nachtmittag des neuen Jahres, zeigte mir alles und beantwortete meine vielen Fragen. Auf dem Weg zurück fragte er mich plötzlich: „Sollen wir mal in eine der Kammern reingehen?". Was für eine Frage! Kent hatte mir vorher gesagt, daß es kaum jemals Besuchern gestattet ist, hinter die Kulissen der Zuchtanlagen zu schauen. Meine nur äußerlich gelassene bejahende Antwort kam daher prompt. Nach dem erfolgreichen (und abgeschlossenen) Auswilderungsprojekt des Wanderfalken konzentrieren sich die Zuchtbemühungen des PF z. Zt. auf den (in freier Natur ausgestorbenen) Kalifornischen Kondor, den Aplomadofalken und die Harpyie. Von ersteren sind 30 Zuchtpaare in Boise, zu diesen kommen weitere 35 Zuchtpaare Aplomados. Die 12 Harpyiepaare sind im vergangenen Oktober nach Panama verfrachtet worden, wo man sich im subtropischen Klima bessere Zuchterfolge erhofft. Die verbliebenen 12 Wanderfalkenpaare bestehen aus absichtlich jeweils einem infertilen Partner, so daß z.Zt. keine jungen Wanderfalken entstehen. Man will erst noch die Entwicklung der freien Wanderfalkenpopulation in den nächsten 5-10 Jahren abwarten, ehe auch dieses letzte Zuchtpotential aufgegeben wird.
Nach einem weiteren Tag im Archiv und einem gemeinsamen Abendessen mit Bill (William) Mattox, dem bekannten Wanderfalkenforscher (Greenland Peregrine Falcon Survey), hieß es am Donnerstagabend Abschied nehmen. Über Minneapolis und Detroit ging es zurück nach Frankfurt. Im Gepäck 40 kg Bücher, Journals und Archivmaterial für das Deutsche Falknerei-Archiv im Austausch für das von mir überbrachte Material. Noch in diesem Jahr werde ich wieder nach Boise fliegen, diesmal jedoch mit anderem Ziel. Von Boise sind es nur 5 Autostunden nach Montana, dem Land der Sage und Sharp-tail Grouse. Archiv und Geschichte hin, Archiv und Geschichte her, vor allem anderen sind wir ja mal Falkner – und das verbindet, über Länder- und Staatsgrenzen, über Völker und Gesellschaftsschichten hinweg. |
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Datum der Veröffentlichung: 07. Januar 2002 |
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