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Der Poelzig-Bau (ehemaliges IG Farben-Gebäude resp. amerikanische Kommandatur). |
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Die Tagung war mit Spannung erwartet worden, sollte der Samstag doch ganz im Zeichen der wissenschaftlichen Disputatio stehen, ob von einem oder zwei Falkenbüchern Kaiser Friedrichs II. gesprochen werden sollte und darf. Zur Vorgeschichte: Prof. Johannes Fried, Leiter des Forschungsprojekts B2 in Frankfurt, hatte 1996 mit seinem Aufsatz „Kaiser Friedrich II. als Jäger oder Ein zweites Falkenbuch Kaiser Friedrichs II.?" den Stein ins Rollen gebracht. Er postulierte das Vorhandensein eines „Liber de avibus et canibus" (Buch von den Vögeln und Hunden) am Hofe Friedrichs II., auf dessen Basis erst Friedrich mehrere Jahre später seinen berühmten Falkentraktat „De arte venandi cum avibus" verfaßte. Diese Annahme, wie auch die Vermutung, daß der „Liber de avibus et canibus" mehrere Überarbeitungen durch den Kaiser selbst erfuhr, erregte heftigen Widerspruch im Kreis der internationalen Friedrich- und Mittelalterforscher – zur großen Freude des Falknereigeschichtlers, ist seitdem doch die Zahl der Publikationen rund um das Falkenbuch und die Falknerei des Staufenkaisers stark angestiegen.
Worauf aber stützt sich Frieds These der „Zwei Falkenbücher"? Von zentraler Bedeutung ist in seiner Beweisführung der sogenannte – lange bekannte - Bottatius-Brief aus dem Jahr 1264/5 (welcher im Original erhalten ist). Fried interpretiert den Inhalt desselben gänzlich neu. Der Mailänder Kaufmann Bottatius bietet darin Karl von Anjou, seinerzeit erbitterter Gegenspieler von Friedrichs Sohn Manfred um die Vormachtstellung in Sizilien, eine reich illustrierte Prachthandschrift über Greifvögel und Falknerei aus dem Besitz Kaiser Friedrichs II. an. Über die Jahrhundert identifizierte die Wissenschaft – naheliegend, aber unkritisch - die angepriesene Handschrift als die 1248 vor Parma verlorengegangene Prunkhandschrift des kaiserlichen Falkenbuches „De arte venandi cum avibus". Beim genauen Studium des Briefs und in Kenntnis des Falkenbuchs kamen Fried jedoch Zweifel an dieser gängigen Interpretation. Bottatius' beschreibt den Inhalt des „edlen Buches über die Vögel und Hunde des einstigen Herrn Friedrich [...]" mit den folgenden Worten: „... es lehrt in einer wohlbedachten Reihe von Kapiteln die Kenntnis der Pflege und Erziehung von accipiter, Falken, Gerfalken, Habichten und anderen edlen Vögel sowie von Hunden [...] und ihre Krankheiten und deren Ursachen, Anzeichen und Behandlung". Nun finden sich im Falkenbuch aber weder Kapitel über den Habicht, noch wird ausführlich über Hunde gesprochen. Und auch über Krankheiten, deren Ursachen, Anzeichen und Behandlung, findet sich kein Wort, weshalb Fried zu dem Schluß kam, daß Bottatius ein anderes als das bekannte Falkenbuch im Besitz gehabt und zum Verkauf angeboten haben muß. Aus den weiteren, recht genauen Inhaltsangaben und Beschreibungen Bottatius' und in Kenntnis des wissenschaftlichen Schrifttums am Hofe Friedrichs II. analysierte Fried weiter, daß es sich wohl um einen Codex aus verschiedenen Texten, wahrscheinlich arabischer Provinienz, gehandelt haben muß. Fried postulierte folgende Gliederung: Moamin (Bücher I-III), Dancus Rex, Guillelmus Falconarius, Moamin (Bücher IV-V) und den Guicennas. Die Tatsache, daß ganz offensichtlich nicht eine reine Textsammlung, sondern eine redigierte Fassung vorlag, der Einschub des Dancus und Guillelmus, zwei falkenheilkundlicher Traktate, an der genau richtigen Stelle zwischen den drei Falken- (I-III) und den beiden Hundebüchern (IV-V) des Moamin machen eine gezielte Redaktion nötig, veranlaßten Fried zu der Folgerung, daß es sich bei diesem Codex um eine zweite beizjagdliche Prunkhandschrift - ein zweites Falkenbuch - Kaiser Friedrichs II. gehandelt haben muß. | |
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Prof. Dr. Fried und Dr. Baudouin van den Abeele |
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Ein zweites Falkenbuch Friedrichs II. – welch revolutionäre These! „Zu revolutionär" meinen dagegen andere. Zu Wortführern der Gegnerschaft haben sich Baudouin van den Abeele (Louvain-la Neuve, Belgien), der zur Zeit wohl bedeutendste und aktivste Falknereihistoriker, und Martin-Dietrich Gleßgen (Straßburg) erkoren, der 1998 mit seiner Habilitationsschrift über den „Italienischen Moamin" Maßstäbe in der Moaminforschung gesetzt hat. Beide stellten auf der Tagung ihre Antithesen zu Frieds „Zwei Falkenbücher"-Theorie vor. Sie zeigten auf, daß die Inhaltsangaben des Bottatius-Briefs – zumindest was die beizjagdlichen Aussagen anbelangt – eher auf das „De arte venandi cum avibus" als den Moamin bezogen werden können. Überhaupt interpretieren sie den Inhalt des Bottatius-Briefs eher als eine kaufmännische Werbeschrift, und wollen dessen Angaben daher nicht überbewertet wissen. Und daß der Kaufmann Bottatius die Handschrift verkaufen wollte, ist unstrittig. Um dies zu erreichen, pries er sie in lobenden Worten an. Sicher ist sich Gleßgen, daß er das umfangreiche Werk niemals gelesen hat, und daher vielleicht unbeabsichtigt mehr hineininterpretierte, als er tatsächlich in Händen hielt. Überhaupt gab der Umfang besonderen Anlaß zur Diskussion. Bottatius schrieb über die Handschrift in seinem Besitz: „Der Umfang ist der von zwei Psalterien". Was mag er damit gemeint haben? Van den Abeele und Gleßgen haben die bekannten Psalterien des 13. Jahrhunderts auf ihre durchschnittliche Seitenzahl untersucht und dabei festgestellt, daß das „De arte venandi cum avibus" sehr wohl etwa zweimal soviele Blatt umfaßt haben könnte, wie ein Psalter (Gebetsbuch). Dem widerspricht die Fried'sche Arbeitsgruppe, die eher die Zahl der Wort verglichen sehen will. Hier würden die 30.000 Wörter eines durchschnittlichen Psalters (mal zwei genommen als 60.000 Wörter) das Falkenbuch ausschließen, das über 150.000 Wörter umfaßt. Hier wird noch zu forschen und zu diskutieren sein.
Breiten Raum in der Diskussion nahm gleichfalls die Texttradition des Moamin ein. Hier besteht nach den jüngsten Untersuchungen von Stefan Georges (Frankfurt) weitgehende Einigkeit, daß die von Fried anfangs postulierte achtfache Überarbeitung zwischen den Jahren 1240 und 1248 auszuschließen ist. Sehr interessante Neuigkeiten stellte die Orientalistin Anna Akasoy, ebenfalls Frankfurt, in ihrem Redebeitrag über die arabischen Vorlagen des lateinischen Moamin vor. Bislang war davon ausgegangen worden, daß Friedrich das Buch des Moamin (umfassend 13 Kapitel über Greifvögel [Buch I], 62 Kapitel über innere [Buch II] und 15 Kapitel über äußere Krankheiten der Greifvögel [Buch III], sowie 6 Kapitel über Hundehaltung [Buch IV] und 6 Kapitel über deren Krankheiten [Buch V]) im Zuge seines Kreuzzugs 1228/9 bekannt wurde und im oder aus dem Heiligen Land (oder über den Kalifen von Kairo) in seinen Besitz gelangte. Unstrittig ist (und war auch bisher), daß die Erstübersetzung ins Lateinische von Theodor von Antiochien (1240/1) geschaffen und von Friedrich selbst während der Belagerung von Faenza (1241) redigiert wurde. Neueste Forschungen lassen jedoch Tunis als Herkunft des Moamin vermuten. In Tunesien herrschte im Jahr 1240 eine schwere Dürre und Hungersnot. In der Bibliothek von Tunis fand sich nun ein Dokument aus besagtem Jahr 1240, in dem von einer Delegation in Tunesien die Rede ist, die reichlich Korn und Saatgut im Auftrag Kaiser Friedrichs II. überbrachte, mit der einzigen Bitte an den Kalifen von Tunis, ihm dafür einen Falkentraktat zu überlassen. Die zeitliche Koinzidenz mit dem Beginn der Übersetzertätigkeit Theodors von Antiochien im Herbst des gleichen Jahres lassen den Schluß zu, daß es sich bei dem erbetenen Traktat um kein anderes Werk als den arabischen Moamin gehandelt haben dürfte. Andere Hinweise, bislang unverstanden, erhärten diese Vermutung.
In der sich anschließenden großen Aussprache über die These und Antithese zum „Zweiten Falkenbuch" war der ursprünglich erwartete Gegensatz der Lager eigentlich schon überwunden, zu sehr hatten die neuesten Forschungsergebnisse begeistert und Annäherung gebracht. Mehr noch: es war einhellige Meinung, daß weiteres Forschen unabdingbar ist. Und wenn es je einen Zweifel daran gegeben hat, ob hinter Falken und Falknerei Wissenschaft steckt, dann hat es diese hochrangig besetzte Tagung aufgezeigt. Unter den etwa dreißig Teilnehmern waren neben den bereits genannten u.a. Charles Burnett (London), Richard Landes (Boston), Folker Reichert (Stuttgart), Silke Ackermann (London), Joachim Poeschke (Münster) und Agostino Paravicini (Lausanne). |
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Datum der Veröffentlichung: 08. Januar 2001 |
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